Ostern – 72 Jahre später / Pasen – 72 jaar later

IMG_2358Ostern 2016. Rob van Wijnen und Sieneke de Rooij aus Amsterdam besuchen das Kriegsgrab von Bert van Wijnen in Lübeck. Zum erstenmal seit seinem Tode 1945 in Magdeburg, bringt ein Familienmitglied dem Opfer der Zwangsarbeit Blumen. Zu Ostern, genau 72 Jahre nachdem Bert van Wijnen sich mit der jungen Magdeburgerin Eva verlobte.

Zwei Niederländische Brüder, eine Deutsche Verlobte,
die romantische und tragische Nachwirkung von Zwangsarbeit in dem Zweiten Weltkrieg – eine wahre Geschichte

Zwei Briefe, ein paar Karten und eine Handvoll Foto’s. Dieses winzige Familienarchiv öffnete die Geschichte einer Kriegsromanze aus 1944-1945.

1943, 1944, mitten im Zweiten Weltkrieg. Zwei Brüder aus Utrecht, Niederlande, landen als Zwangsarbeiter in Deutschland. Bert, der ältere, als Transportfahrer bei Knyrim an der Bahnhofstrasse in Magdeburg. Bob, der jüngere, als Metallarbeiter bei Stammwitz Eulenberg in Berlin. Die Niederländer leben eine rauhe Existenz, haben aber auch relativ etwas Freiheit, darunter beschränkte Reisegenehmigung. So können sie sich ab und zu treffen. Bert darf manchmal den kleinen Lastkraftwagen seines Arbeitgebers benutzen.

Bert van Wijnen verloofd 1944Es gibt sogar Raum für Liebe: Bert verlobt sich mit Eva, eine junge Röntgenassistentin. In ihrer Familie findet er ein Heim und einigen Monate wohnt er sogar bei ihren Eltern ein.

Aber der Krieg rast weiter. In Berlin erblebt Bob die allerschlimmsten Bombenangriffe in den letzten Kriegsmonaten. Und Bert untergeht die gleichen Qualen in Magdeburg, wo er den Angriff des 16. Januars überlebt, sowie auch Eva und ihre Familie. 80% der Altstadt Magdeburgs wird dabei völlig zerstört, zehntausende sind obdachlos nach Bombentapeten und Feuersturm.

April 1945 nähern sich die Engländer und Amerikaner vom Westen, im Osten rücken die Russen voran. Die Magdeburger sind zwischen zwei Feuer geraten und halten den Atem an: werden sie ‘befreit’ werden von den Amis oder ‘besetzt’ von den Russen?

Wie das ausging, wissen wir ja. Aber ob die Liebe und Freundschaft zwischen Bert, Eva und Bob den Krieg überstehen konnte, blieb bislang nur so eine kleine Familiengeschichte, von der nur drei oder vier Menschen noch das Ende kannten.

Bert van Wijnen Magdeburg 1944Der jüngere Bruder Bob erzählte im späteren Leben in Utrecht fast nie von seinem verstorbenen Bruder. Sein Sohn Rob (geb. 1953) wusste nur, dass sein Onkel in den letzten Kriegstagen bei einem Amerikanischen Artillerieangriff auf Magdeburg ums Leben gekommen war. Als Kind hatte Rob das Foto seines jungen Onkels immer bei den Grosseltern gesehen. ‘Das ist Bert, der ist jung gestorben,’ mehr wurde ihm nie erzählt.

Als Kind weiss Rob schon, dass sein Vater Bob sich irgendwie noch immer sehnt nach Berlin. Am Strand in Zandvoort nähert er sich immer den Deutschen Touristen an, die sich da eingraben, hoffend auf ein kleines Gespräch auf Deutsch.

Aber wie oft Rob seinen Vater auch einlädt, mal mit ihm zurückzureisen, um da nochmal rumzuschauen, der alte Bob wagt es nicht mehr. Seine Erinnerungen sollen so bleiben, wie sie sind. Er hat Angst, Berlin habe sich unerkennbar geändert; Angst vor seinen Erinnerungen auch, aber davon spricht er nicht. Seine Zeit als Zwangsarbeiter und den Verlust seines Bruders bleiben in ihm versteckt.

Bitte Bob, schreib doch mal!

Bob reist nie mehr nach Deutschland zurück. Aber nach Bobs Tod findet sein Sohn Rob beim Aufräumen ein Paar Deutsche Briefe und Karten, ein Paar Foto’s. Mit seiner Gattin Sieneke fängt er zu lesen an. Und dann bekommen die beiden Gänsehaut.

Eva: Bert ist tot!‘Bitte Bob, schreib doch mal…’ schreibt die junge Magdeburgerin Eva immer wieder. Und Sie erzählt, in den Briefen aus 1946 und 1947, wie auch sie in Deutschland, so wie Berts Familie in den Niederlanden, immer den Vermissten gesucht hat.

Wie Sie letztendlich herausgefunden hat, er sei tot, ausgerechtet durchs Feuer der ‘Amis’, auf denen er sich so gefreut hat. Wie sie versucht, das alles zu verkraften, und mit ihren ‘ehemaligen zukunftigen’ Schwiegereltern in Kontakt zu kommen. Wie sie schreibt und schreibt, immer wieder bittet um Antwort… aber keines mehr bekommt aus Utrecht. Wie die Briefe immer weniger werden, bis sie endlich aufhört, zu schreiben. Totgeschwiegen.

Jetzt kann Rob endlich lesen wie sein Onkel ums Leben kam, wo er begraben wurde, wie er noch geliebt war von seiner Deutschen Verlobten. Die junge Frau schreibt über ihr Leid, Ihre Verwirrung und Trauer, wie sie Berts Grab in Magdeburg versorgt, wie verzweifelt sie sucht nach Auskünfte über sein Lebensende.

Die Briefe werden 2016 von Sieneke de Rooij verarbeitet in einer kleinen Novelle über die zwei jungen Hinterbliebenen, Bob und Eva.

Auf der Suche nach Bob und Eva

2014. Rob van Wijnen und Sieneke de Rooij verreisen nach Magdeburg, um die letzten Dokumente über Bert zu bekommen und finden seine SterbeAkte beim Stadtarchiv.

Aber viel, viel wichtiger noch: sie können Eva, Berts ehemalige Verlobte, besuchen. Zwar ist Eva geistig nicht mehr zu erreichen und lebt sie im Altersheim, aber zum erstenmal kommt einer der Niederländischen Familie, die das trauernde junge Mädchen damals so im Stich liess, zu Besuch. Die junge Frau von damals hat nie geheiratet und keine Kinder bekommen. Als DDR-Bürgerin hat sie ihr Leben ihrer Arbeit und der Magdeburger Domgemeinschaft gewidmet.

Für die beiden Niederländer ist es wichtig, sie sagen Eva, dass sie endlich da sind. Ihre Briefe sind gelesen worden, ihre Bitte ist gehört worden. Sie meinen beide, eine körperliche Reaktion bei Eva wahrzunehmen als Rob anfängt, zu sprechen. Erkannt noch ein letztes Stückchen Gedächtnis das niederländische Deutsch, ein Gesicht? Aber das mag auch Wunschdenken sein… Jedenfalls sind sie bei Eva, reden über Bert und Bob, und streicheln die Hände der Frau, die ihre Tante hätte sein können.
Anderthalb Jahre später schläft Eva ganz friedlich ein.

Blumen in Lübeck

Lübeck 2016Für Rob van Wijnen bleibt noch der letzte Schritt: das Grab des Bert van Wijnen zu besuchen, wo niemand seiner Familie bisher je war. Aus bis jetzt ungeklärten Gründen ist Bert in den fünfziger Jahren ohne Mitwissen seiner Familie dreimal wiederbegraben worden: zuerst in Magdeburg, nachher zweimal in Berlin und zuletzt im Ehrenfeld der Niederländer auf dem Vorwerker Friedhof in Lübeck.

Ostern 2016, am Ostersonntag, hat Rob seinem Onkel Bert endlich Blumen gebracht, aus Namen seines Vaters, der seinen Bruder nie wieder sah.
Es war genau 72 Jahre nach seiner Verlobung mit Eva aus Magdeburg.

450508 overlijdensberichtMorgen, am 8. Mai 2016, ist es genau 69 Jahre her, dass Berts Eltern nach langer Suche die endgültige Bestätigung Berts Todes von Roten Kreuz empfingen.

Bert, Eva, und Bob, ruhe in Frieden.

 

Informationen zur Autorin

Sieneke de Rooij ist Schriftstellerin, Lektorin und Dozentin für Kreatives Schreiben in Amsterdam, Niederlande.
16 Jahre war sie Lektorin bei verschiedenen Verlagshäusern.
Als Kunstberaterin im kulturellen Sektorarbeitete sie danach langfristig für die Stiftung ‘Schreiben’ und das Niederländische Institut für Freizeitkunst. Sie war beteiligt an der Gründung und Entwicklung von einigen Ausbildungskonzepten für Schriftsteller und Dichter in den Niederlanden und errichtete mit Margriet van Bebber die Dactylus Akademie für Dozenten für Kreatives Schreiben (www.dactylus.info).

Sieneke de RooijDe Rooij veröffentlicht (Kinder)Bücher, Artikel und Texte für Websites und Social Media und organisiert Kurse, Werkstätte und Schreibevents für alle, die ihre Texte verbessern wollen. Weitere Informationen finden Sie auf www.sienekederooij.nl und auf LinkedIn https://nl.linkedin.com/in/sienekederooij.

Zur Zeit schreibt De Rooij eine Novelle, basierend auf dieser wahren Geschichte ihres Schwiegervaters und dessen Bruder, der 1944 als Zwangsarbeiter in Magdeburg lebte, und verlobt war mit einer jungen Magdeburgerin.

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